Kulturinsel Einsiedel

„Konturinsel Einsiedel“ sagt unsere Fünfjährige, als wir sie auffordern mal in die Kamera zu sprechen , wo wir hier gerade sind. Jede Menge Konturen, bunte, schwarze, naturliche, Baumstammumrahmte und nichtgerahmte… Diese Insel hat Kontur….

Die Reise auf diese Insel ist auf jeden Fall nicht gerade kurz, aber wir sind angehalten, das jwd etwas näher in Augenschein zu nehmen. Unser alter Passat wird von Trabis verfolgt während unsere Augen draußen an putzbröckelnden Fassaden mit kaum mehr zu erkennenden KONSUM Schildern hängenbleiben. Ein paar wenige Gasthäuser am Straßenrand – schade daß die Mama einen Picknick Korb gepackt hat, so wird unsere Neugier nicht befriedigt, wie es dort wohl innen aussieht und was es zu essen gibt. Wir vermuten, da schon alle Straßenschilder auf deutsch und polnisch sind, gibt es wohl auch Bigosch und andere polnische Nationalgerichte. Wir sind fast am Neißeufer an der polnischen Grenze in der Nähe von Görlitz nach 3 Stunden Fahrt angelangt. Eine Insel soll es hier geben? Mmhhh im Fluß oder wo oder im größten zusammenhängenden Waldgebiet Mittel Europas?

Kein Hinweisschild bis am Waldrand Holzzäune mit bunten Häuschen auftauchen – sieht aus wie die Kennzeichnung einer ganz besonderen Spezies in einem ganz eigenen Landstrich.
Ein paar bunt bemalte Autowracks stecken in den Bäumen fest und grüngeringelte Hängebrücken wie in einer Kulisse eines Fantasiefilms zeugen davon, daß wir angekommen sind – Kulturinsel Einsiedel mit dem ersten Baumhaushotel Deutschlands.

Einchecken:
In der Trollpforte erhalten wir unseren großen Schlüsselring mit den Schlüsseln zu Thor Alfons Astplast, einem Luxusbaumhaus wie sich herausstellen sollte.
Anfang April, es liegt Schnee und die Natur ist noch nicht aus dem Winterschlaf erwacht, die einzig bunten Pflanzen wuchern wie lebendig aus den Schneeresten – es sind Holzsskulpturen zu klettern und entdecken, auf drei Ebenen: Ebene null für jeden sichtbar, die darunter nur durch enge Röhren oder Rutschen zu erreichen, die darüber mit waghalsigen Kletteraktionen gelangt man auf die Hängebrücken.

Grit, die Baumhausfee führt uns zum Astplast, über Stege und Stiegen in den Baumwipfeln erreichen wir unsere Kajüte. Thor Alfson ist der Troll dieses Baumhauses. Er sammelt Münzen und ist wohl ein begeisterter Seefahrer, deshalb fühlen wir uns in den Schlafkojen fast wie in einem alten Segelboot – es schwankt sogar hin und wieder, wenn Jan sich durchs Haus bewegt J zwei Stufen hinauf und wir sitzen in der Kombüse: Holztisch mit Bänken und einem alten Schiffsmodell, aus den Bullaugen schauen wir auf andere Baumhäuser und durch die noch unbelaubten Äste der Baumkronen. Eine steile Stiege hinauf und wir finden zwei gemütliche Kojen mit 2 Meter breiten Betten und noch eine kleine Leiter hinauf einen Schlafboden. Hier könnten also sechs erwachsene Baumhausschläfer übernachten. Nach der langen Autofahrt wollen wir uns hier am liebsten einkuscheln und ein bißchen chillen, aber genauso neugierig sind wir auf das Land drumherum – ein Begrüßungstrunk wartet auf uns im Baumstammlokal. Weil es bis dorthin auf der Karte nicht weit ist, wollen wir uns schnell den Trunk abholen und dann gestärkt die Umgebung erkunden. Aber huch, nach einer Stunde haben wir fast vergessen, was eigentlich unser Ziel war. Verloren in der Fantasiewelt der Turiseder, in den unterirdisch und überirdisch angelegten Kletterskulpturen, zwischen den Tieren aus einer anderen Welt und den kleinen verschlungenen Pfaden dazwischen – sind wir erstaunt, daß wir die Zeit ganz vergessen haben. Am Baumstammlokal genießen wir ein Heißgetränk und sinken schon etwas erschöpft in die Baumstammsessel. Außer uns sind noch eine Kindergeburtstagsgesellschaft und eine Großfamilie hier, aber wie uns das Personal berichtet, auch wenn es im Sommer zum Folklorum 16000 Gäste sind, „vertut“ sich das auf dem Gelände. Es ist so wunderbar weitläufig und nur mit einem Blick vom Zauberschlossturm oder einem anderen Baumwipfel erhält man wieder einen Überblick und kann herausfinden, wo man eigentlich ist. Man kann sich treiben lassen und erkennt manchmal erst auf den zweiten Blick, wenn man an einer Ecke schon mal war – wenn das denn überhaupt passiert.

Kurz vor dem Abendessen beschließen wir, ins Zauberschloß zu gehen, d.h. Merle und die Mama, die mit ihren Matschhosen und Headlights für jedes Abenteuer ausgerüstet sind. Rasselketten helfen einem hoch in die Türmchen zu gelangen, man kan auch eine gewendelte schiefe Ebene nehmen – aber was ist das? Sackgasse. Ein Schild vor einer runden Öffnung sagt etwas von nicht bremsen und es erwartet einen das Grauen…. es gibt fast kein Zurück. Taschenlampen nützen erstmal nix, denn das Rohr, durch das man rutschen soll geht um die Ecke und es ist einfach nur dunkel, wenn man genau hinhört, nimmt man gruselige Geräusche aus der Tiefe wahr. Die mutige Mama, gibt

sich nicht die Blöße und nach tiefem Durchatmen rutscht sie los – schreit sie etwa ein bißchen, als sie fast im freien Fall in die dunkle Tiefe stürzt? Hui, in einem dunklen, sehr spärlich beleuchten Gruselkellerlabyrinth angekommen – ängstliche Rufe von oben: Mama, alles in Ordnung? Was ist da?  – Es dauert noch ein zwei Minuten bis Merle überredet ist, loszurutschen, wenigstens sieht sie an dem Metall das Licht meiner Taschenlampe reflektieren und weiß, daß ich nicht weit weg bin. Sie schreit und ihr Herz klopft, eine Sekunde, dann ist der Schreck vorbei. Gemeinsam versuchen wir uns durch das unterirdische Labyrinth zu finden, merkwürdige Zeichen an den Wänden, Masken, Tageslichtschein – oder doch nicht? Es dauert eine ganze Weile bis wir wieder überirdisch sind und aus dem Schloß rausgefunden haben. Später erfahren wir, daß es vier Ausgänge geben soll und können es nicht glauben.

Völlig geschafft sitzen wir im Baumstammlokal und verzehren uns nach einem Abendbrot. Merle schläft fast ein, wird aber wieder ganz aufgeregt als es Kaiserschmarren und Matjes an der Angel gibt. Und das heißt wirklich an an der Angel. Wie an jeder Ecke und in jeder Rundung dieser Insel steckt Liebe zum Detail, nicht vergleichbar mit großen Freizeitparks, wo an jeder Ecke der Kommerz lauert und anderen Attraktionen, die wir bisher kennengelernt haben. Alle Skulpturen sind benutzbar und deshalb mit viel Genauigkeit geplant und umgesetzt, alles und jedes hat eine Geschichte, die mit den Ureinwohnern Turisedes verknüpft ist. Mit ferundlichen und lustigen Hinweistafeln mit Informationen kann man ganz und gar abtauchen und weiß am Ende nicht mehr, ob es die Turiseder vielleicht doch gab. Man spürt das Herzblut von Jürgen Bergmann, geistiger und künstlerischer Vater der Kulturinsel. Vor über 20 Jahren fing der Künstler an, seine Holzskulpturen auf einer Wiese auszustellen, ein Galeriecafe kam hinzu und das Projekt wuchs und wuchs. Zunächst Freunde und später Fachleute aus dem Handwerk aus Design und Architektur trugen dazu bei, daß neben der künstlerischen Holzgestaltung ein bewohnbarer Teil des Geländes entstand – das erste Baumhaushotel Deutschlands. Luxusbaumhäuser oder Baumbetten, Erdhütten und Zelte in denen man übernachten kann. Denn eins ist ganz klar: man braucht mehr als einen Tag, um all das zu entdecken. Deshalb ist es mehr als praktisch gleich bei den Turisedern zu bleiben und für ein paar Stunden die Augen zuzumachen und im Schlaf weiter von den Trollen und Baumfeen, von polygehörnten Fleckschafen, einem Lama auf dem Dach und der Welt Turisedes zu träumen, bevor man sich nach einem guten Frühstück wieder ins Abenteuer stürzt.

Hat man noch nicht genug erlebt, kann man sich auf den Weg über die Neiße machen oder entlang des Flusses paddeln. Auf der anderen Seite befindet sich das größte Waldgebiet Europas und auch ein kleines polnisches Erlebnisdorf.

Auf verschiedenen Großveranstaltungen wie dem Folklorum im September, gibt  es Kultur im Überfluß.
Trotz der schwierigen wirtschaftlichen Verhältnisse in dem Landstrich sprudeln die Ideen der Kulturinsel – Macher weiter. Flöße, Baumbetten, Hängebrücken….

Besondere und vor allem wirkliche Erlebnisse gibt es für Schulklassen oder Firmen, die sich für einige Zeit in eine andere Welt begeben können und Dinge erfahren, die man im Klassenzimmer und normalen Konferenzräumen nicht so einfach vermitteln kann.

Nachdem wir uns nur kurz mit dem Visionär und Vater der Kulturinsel unterhalten wollten und mehr als eine Stunde mit in seine Welt gereist sind, stimmen wir überein, daß dies hier ein ganz besonderer Schatz ist, den man unbedingt erlebt haben muß. Aber auch unsere Zeit wird knapp und wir wollten uns noch journalistisch einwandfrei im Historium über die Geschichte Turisedes informieren, Material und Souvenirs mitnehmen und dann wieder gen Heimat reisen.

Die Sonne kommt noch raus und eigentlich könnten wir mindestens nochmal 24 Stunden hier Ziegen streicheln, Matjes angeln, abtauchen, hochklettern und staunen.

 

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Geertje

Geertje schreibt und fotografiert auf Reisen gerne, um diese intensiven Momente des Lebens festzuhalten. Sie möchte diese wunderbare Welt auch ihren Kindern zeigen und reist deshalb am liebsten als Familie in den Norden. Schön ist es, wenn Bilder und Texte auch andere Familien zum Reisen inspirieren.

2 Kommentare:

  1. Hallo Geertje,
    bin durch Zufall auf der Webseite gelandet… eine wunderschöne Beschreibung der Kulturinsel Einsiedel!!
    Nur eine Info: die Schilder in unserer Gegend sind nicht in polnisch und deutsch beschriftet, sondern in sorbisch und deutsch. Die Sorben/Wenden sind eine nationale Minderheit slawischen Ursprungs, die in der Lausitz lebt. Ihre Sprache ist mit polnisch und tschechisch eng verwandt.
    Herzliche Grüße
    Martina Laux

  2. Danke Martina für den wertvollen Hinweis!

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