Es ist Mitte Februar in Kanada. Ich reiste schon öfter in die Winterstadt Winnipeg, um hier den echten Winter, das Festival du Voyageur und die Warming Huts zu erleben. Dieses Mal werde ich den Riding Mountain Nationalpark kennenlernen.

Aber auch in den vergangenen Jahren hatten die Schneekünstlerinnen hin und wieder mal Pech, denn abseits von den üblichen minus 30 Grad im Februar gab es Plustemperaturen und die Schneekunstwerke schmolzen schneller dahin als wir sie errichten konnten. Im vergangenen Jahr 2023 wurden statt Schnee- Strohskulpturen gebaut.
Ich reise aus Edmonton nach Winnipeg und schaue erwartungsvoll aus dem Flugzeugfenster, das flache Land im Innern Kanadas ist teilweise mit Schnee bedeckt. Keine dichte weiße Fläche wie es Grönland von oben zeigt, dennoch habe ich Hoffnung, denn in der Wettervorhersage sah ich mit Erstaunen mehr als minus 30 Grad.
Ich bin wieder für die Kunst unterwegs. Unser Freund Peter von Sputnik Architects, die jährlich den Architekturwettbewerb Warming Huts (Link) ausloben schickt uns, mich und meinen Icehotel Kollegen Vytautas in den Riding Mountain National Park. Drei bis vier Fahrtstunden entfernt von Winnipeg.
Kalte Prärie und die Anreise zum Riding Mountain Nationalpark von Winnipeg aus


In einem kleinen Auto, in dem wir unser Überseegepäck nebst Schneeskulptur Werkzeugen verstauen, düsen wir Richtung Nordwesten. Weite seeeeeeeeeeeeeeeeeeehr flache Landschaft. Der Wind pustet losen Schnee über die flache Landschaft und die Straße, die immer nur gerade aus geht. Meine Finger wollen nervös auf dem Handy rumtippen, aber in Kanada habe ich meine Telefonleitung immer ohne Internet laufen, da es zu einer preisgünstigen Variante einen extra Vertrag bräuchte. Den habe ich nicht abgeschlossen. Der Reflex mit meinem Rumgetippe bei Google Maps eine Tankstelle zu finden, ist nicht ganz unbegründet.
An dieser breiten Straße ist kaum Zivilisation zu sehen. Weder Tankstelle noch andere Häuser, ab und zu geht eine Seitenstraße ab. Mit meinem linken Auge sehe ich die Tanknadel auf der Anzeige des kleinen Hundai immer mehr gen Reserve sinken. Mein Kollege wirkt ganz gelassen. Schließlich halten wir doch nach fast 300 Kilometern an einer Häuseransammlung mit Tankstelle und Laden. Wir versorgen uns mit dem nötigsten. Besonderes Augenmerk gilt hier dem Alkoholverkauf, der in großen Orten nur in gesonderten Läden stattfindet. Hier ist der Liquor store in den normalen kleinen Supermarkt integriert und auch der letzte weit und breit. Selbst im Nationalpark im Ort Wasagami gibt es keinen.
Schließlich passieren wir eine gigantische Elchskulptur aus Holz und Rinden, dafür habe ich jetzt einen Blick, denn schließlich haben wir im Auftrag eines Museums gerade letzte Woche Skulpturen aus Naturmaterialien gebaut. Die Tickethäuschen für den Nationalpark sind im Winter nicht besetzt. Noch drei Kilometer und wir landen schließlich in Wasagami, dem einzigen wirklichen Ort im Riding Mountain National Park
Der Riding Mountain Nationalpark in der Nähe von Winnipeg am Clear Lake
Keine Berge oder auffällige Sehenswürdigkeiten im Blickfeld. Der zugefrorene Clear Lake erstreckt sich gen Norden. Viele urige kanadische Blockhäuser scheinen unbewohnt und nicht vermietet, An der Minitankstelle gibt es im Winter wohl kein Benzin, stattdessen liegt ein halber Meter Schnee. Es ist langsam dämmrig geworden und ich fühle mich magisch vom gut beleuchteten Restaurant Lakehouse angezogen. Einige Winterferiengäste gehen ein und aus und im Innern des gemütlichen Restaurant, empfangen uns Kerzenschein, Kaminfeuer, eine einfach wohlig warme Atmosphäre. Draußen herrschen hier mehr als minus 20 Grad, ich sehe meinen Atem und die Nasenhaare kleben mir in der Nase zusammen als ich aus dem Auto aussteige.



Das benachbarte Arrowhead Family Resort ist für die kommenden Tage unser Zuhause. Jeder von uns bekommt einen Zimmercode für gut ausgestattete und gemütliche Apartments, wo wir erst mal einchecken.
Ich bin gespannt, welche künstlerische Herausforderung hier auf uns wartet. Peter hat es uns im Vorfeld nicht verraten, nur: Ich bin dann auch schon mal da mit einem Truck voller Werkzeuge.
Mission Winterwork in Clear Lake
Er klopft im nächsten Moment an meine Tür. Als ich öffne, stehe ich einem Mann mit Eiszapfen im Bart und einer klammen vereisten Schnitzschutzhose gegenüber. Seine Augen strahlen. Eine herzliche Umarmung wärmt ihn anscheinend nicht genug: Ich muss erst mal duschen, dann quatschen wir ja? Er erklärt noch seinen desolaten Zustand mit der Arbeit, die er gerade draußen auf dem zugefrorenen See gemacht hat: Mit der Kettensäge Kanäle für die Brückenbauarbeiter schneiden, damit sie Kabel an der Brücke trotz Winter verlegen können. Alles klar denke ich, für alle Schandtaten offen.

In zivilisierter warmer Winterkleidung, aufgepuffter Daunenjacke spazieren wir wenig später zu dritt durch den Ort und am Ufer am Winterpavillon entlang. Ich entdecke eine wohl vertaute Form: einen Bogen wie vom Icehotel aus Snice, gepresstem Schnee.
Schneemauern, Schneeskulpturen und ein A-Frame mit Plane bedeckt. Eine kleine Experimentier-Winterwunderlandschaft. Peter erklärt, dass sie architektonisch und auch statisch all diese Bauteile hergestellt haben, um zu sehen, wie sie sich über die Winterwochen hier verhalten. Schneemauern verbiegen sich und Schneeskulpturen fangen langsam an zu fließen. Hier dürfen wir uns austoben, nachdem wir aber natürlich unser Baumaterial aus dem See geerntet haben.
Und eine tolle neue Erfindung müssen wir noch aufbauen: einen Grilltisch mit Wärmezuleitung für kalte Beine der Gäste. Eine Erfindung von Anvil Tree und Sputnik Architects.
Es ist schon Abend, also haben wir schon mal einen Plan für die ersten Stunden des morgigen Tages.
Abendessen bei Freunden des Architekten im kleinen Ferienort Wasagami und dann ab in die Falle.
Frost vor der Türe – Angrillen im Winterpavillon
Am Morgen ziehe ich mir einen Kaffee aus der kleinen Maschine im Apartment. Wenn ich auf Reisen bin, liebe ich diesen Luxus, ein ganzes Zimmer für mich alleine zu haben und einen Kaffee im Bett zu trinken.
Als ich dann in Wintermontur die Tür nach draußen öffne, schlägt mir die Kälte wie eine Ohrfeige ins Gesicht. Ich schaue zur Sicherheit auf meine Wetterapp: Minus 35 ! Jetzt ist Vorsicht angesagt und ich justiere nochmal nach. Gesicht mit einer dicken Fettcreme eincremen, Die wärmste Mütze raussuchen – ich wähle die mit Fuchsfell und Ohrenklappen, Daunenjacke unter den Anorak oder doch gleich den Daunenparka?
Beim körperlichen Arbeiten wird mir ja meist warm, ich packe noch ein paar Handschuhe und Wärmepacks in meinen kleinen Rucksack. Wir treffen uns am Truck und laden die schweren Metallgestelle des Grilltischs ab. Bloß nichts mit nackten Händen anfassen, Gesicht gut bedecken vor der kalten Luft. Kleine Schrauben und Werkzeugen muss ich irgendwie mit fetten Handschuhen zusammenbringen, um die Beine an den Tisch zu schrauben, wir hieven das Ungetüm auf seine Beine.
Einige große Scheite Holz haben wir auch parat und Mittags gibt es ein Angrillen. Der kleine Ventilator bläst warme Luft von der Grillstelle durch Rohre unter die benachbarten Tische. Was für ein Gaudi, es funktioniert wirklich, Fleischspieße und gegrilltes Brot sind heute unser Arbeitslunch.

Eisernte auf dem Clear Lake
Mit Kettensäge, Ochsenkopf und Pulka beladen stapfen wir über das zugefrorene Wasser. Eine Landungsbrücke wird gerade neu gebaut, nur im Winter können die schweren Baumaschinen dort draußen arbeiten, weil sonst der Zugang nicht gewährleistet ist.
Peter zeigt uns eine Stelle, an der wir den Schnee beiseite schieben. Die Kettensäge taucht ein, Wasser spritzt nach einer Weile nach oben raus. Das Eis muss zirka 70 cm dick sein. Selbst scheinbar kleine Blöcke, die Peter raus sägt, sind so schwer, dass wir sie nur mit sehr viel Mühe bewegen können. Zu dritt greifen wir am großen Ochsenkopf an, um den schwimmenden Block auf die Oberfläche zu hieven, dann ankippen und in den Pulkaschlitten, dann rutscht er plötzlich weg und landet wieder im großen schwarzen Wasserloch und schwimmt als wäre nichts gewesen.
Das Ganze also nochmal von vorne. Schließlich haben wir das glasklare Baby mit seinen 250 Kilogramm in der schwarzen Plastikwanne, eine Pulka, ähnlich der, die ich auch auf Grönland hatte.
Dort waren lediglich 80 Kilogramm Gepäck verstaut. Meine Kollege und ich ziehen und schieben mit vereinten Kräften das wunderschöne Monster zum Ufer des Sees. Später hängt Pete das Ding an seine Hängerkupplung und zieht es mit dem Truck den Weg hoch zur Arbeitsstelle im Winterpavillon.


Nach einigen Stunden kräftezehrender Schweißarbeit sind am Ufer im Winterpavillon viele hundert Kilogramm Eis in Blöcken versammelt. Meine Fantasie kennt keine Grenzen. Vytautas hat auch schon einen Plan.
Er zerteilt die Blöcke in fast handliche Scheiben (ca 80 kg), aus denen nach und nach in den kommenden zwei Tagen Kerzenleuchter entstehen.
Pete fährt zurück nach Winnipeg und überlässt uns unserem Arbeitseifer. Er ist hoffnungsvoll auf der Fahrt noch Nordlichter beobachten zu können.
Das Ende eines Tages als Eis- und Schneekünstlerin
Über den Tag werden die Temperaturen etwas milder und erreichen kuschlige minus 20 Grad.
Am Abend erreicht das Thermometer wieder die 30.
Ich genieße das Kanadische Abendbrot mit Lachs und fettigen Chips und falle danach todmüde ins Bett. Die Kälte und auch die Anstrengung mit den Eisblöcken haben mich fix und fertig gemacht. Obwohl ich sonst ganz scharf auf Nordlichtbeobachtungen bin und gerne noch rausgehe zum Fotografieren, hoffe ich einfach, dass wir noch so einen Abend erlebe und ich nicht ganz so geschafft bin.

Zur Künstlerinnenschicht in Riding Mountain Nationalpark
An den folgenden Morgenden ist es jeweils genauso kalt, tagsüber wärmt es mehr und mehr auf. Wir stärken uns im Lakehouse mit tollem Frühstück, Kalorienhaltig natürlich wegen der Anstrengung und der Kälte und gutem Kaffee. Ich widme mich einem gepressten Schneeblock auf der Terrasse des Lakehouse Restaurant. Ein Sofa mit typischen kanadischen Rückenlehnen soll entstehen.
Die Holzsessel mit den runden Lehnen stehen oft in Nationalparks und auf öffentlichen Plätzen, in Rot sind sie weithin sichtbar. Ich studiere die prägnante Forme und versuche eine Doppelsitzgelegenheit in gleichem Stil auf der Terrasse zu erschaffen.
Gäste kommen neugierig vorbei und begutachten den Fortschritt der künstlerischen Arbeiten.
Karly, die Betreiberin des Restaurants und der Unterkunft ist ganz hin und weg und lädt uns beflügelt ein, doch noch eine weitere Woche zu bleiben und die Umgebung in Wasagami in eine Winterwunderlandschaft zu transformieren. Bald gäbe es ja auch das Fire & Ice Festival.






Am Freitagabend setzen wir unsere Kunstwerke ins rechte Licht, verteilen Kerzen und fotografieren die vergänglichen Kunstwerke. Ich hoffe, dass in den nächsten Tagen das entstandene Schneesofa mit Beistelltischchen einige Besucher empfängt.
Vielleicht mit einer Feuerschale davor und schon ist das Wellnesserlebnis perfekt.









Im Riding Mountain Nationalpark, können Gäste im Winter Schneeschuhtouren unternehmen, Eisangeln und auch Wellness Erlebnisse planen. Es sind weniger Besucher als im Sommer in dem kleinen Örtchen. Deshalb ist es so schön still und erholsam. Genau deshalb könnte ich auch noch eine Woche Urlaub hier machen. Ich würde mich pudelwohl fühlen mit leckerem kanadischem Essen, einer gemütlichen Ferienwohnung und einem oder anderen Ausflug in die Schneelandschaft, die Sonne wärmt schon meine Nase, obwohl die Schneekristalle in der Luft glitzern.
Vielleicht kann ich das Wintergefühl mit nach Potsdam transportieren, wo es angeblich die letzten Tage auch schon mal minus 10 Grad waren, noch ein kleiner Unterschied zum Riding Mountain Nationalpark in Manitoba.