Der Tag, an dem der Gletscher in Island mich verschlucken wollte

Ob Wildnistrekking am Gletscher in Island etwas für mich ist?

Seit Tagen liefen wir mit schwerem Gepäck durch Nebel und Regen, Flüsse und Lavagestein. Ohne Wege navigiert uns Martin der Tourleiter durch die Wildnis Islands. Er ist dabei souverän und wir anderen drei bleiben froh und gut gelaunt trotz der grauen Aussichten um uns herum.

Gletscher in Island Trekking

Nun ist es endlich soweit und der Himmel klart auf. Himmelsblau und Sonnenschein sind das erste Mal nach einer Woche Wildnistrekking in Island zu sehen.

Gletscher in Island - auf dem Weg

In froher Erwartung auf eine Gletscherzungenüberquerung bei blendendem Wetter starten wir morgens in den Tag. In Erwartung einer leichten ca 3,5 stündigen Wanderung über das leuchtend blau weiße Eis, hüpfte mein Herz.

Unser Camp haben wir schon vor zwei Nächten in einem grün bemoosten Rund aufgeschlagen. Ein friedlich klarer Bach lieferte uns zuverlässig sauberes Trinkwasser. Um uns herum nur Stille und Weite, Nebel und Niesel. Fast Langeweile nach einem Ruhetag wegen Wartens auf besseres Wetter zur Gletscherzungenquerung. Als Trost gab es allerdings eine warme Quelle mit wärmenden Temperaturen. Die uns mit dem Wetter versöhnte.

Gletscher in Island - Zeltstelle

Wir, das sind eine fast zufällig zusammengewürfelte Truppe an Sonderlingen, 3 Männer mit ihren 59, 55 und 29 Jahren und ich selbst  mit  meinen 46 Jahren, wie wir in einer zusammengekuschelten Quatschrunde an einem Regenruhetag im Zelt feststellen. Uns eint aber eines: die Liebe zur wilden nordischen Natur, die Lust an den Herausforderungen, die mit dieser rauen Umgebung verbunden sind, die Gelassenheit, damit umzugehen und die Fröhlichkeit, die aus Naturverbindung entsteht.

Gletscherzungen Morgen

An diesem Morgen ist es noch neblig und etwas kühl. Denn die Sonne hat sich bei den fünf Grad Celsius noch nicht richtig durchgekämpft. Genauso liegen Simon, mein Wanderkollege und ich morgens um sieben noch im Zelt. Wir warten in den nächsten Minuten nach dem Weckerklingeln auf eine Nachricht aus dem Einzelzelt des Guides Martin. Aus dem anderen Ein Personen Zelt mit Bewohner Georg ist schon lustiges Töpfeklappern zu hören. Simon und ich machen uns einen Yogitee und warten gelassen die nächsten Minuten ab. Bleiben in den Schlafsäcken und haben die dampfenden Tassen in der Hand.

Gletscher in Island - Frühstück davor

Eine zögerliche Kommunikation durch den Morgennebel macht deutlich, um neun ist Aufbruch angesagt. Es erwartet uns ein aufregender Tag. Wir werden die Gletscherzunge betreten und eine noch nicht begangene Route über das Eis des größten europäischen Gletschers probieren. Das sollte nicht so schwierig sein und zeitlich mit dreieinhalb Stunden überschaubar.

Aus der Erfahrung der letzten Tage wissen mein Zeltmitbewohner und ich, dass wir uns für das Frühstück eine Stunde Zeit lassen können und dann aber zügig alle anderen Handgriffe erledigen sollten, um nicht die letzten in der Wandergruppe zu sein, die abmarschbereit sind.

Wir sind schon ein eingespieltes Team, eine Woche fast haben wir das Zelt auf und ab-gebaut und unsere Rucksäcke jeden Morgen neu gepackt und die Stiefel geschnürt. Heute sind wir in großer Vorfreude.

Black Forest auf dem Gletscher in Island

Ich bin so etwas wie das Trekkingküken in der Gruppe. Bis auf kleinere Touren mit Rucksack und Zelt habe ich Flachlandtirolerin keine große Erfahrung, aber einen großen Willen. Schließlich träume ich schon seit mehreren Jahren von einer längeren Skiexpedition über Grönland. Deshalb sollte dies der nächste logische Schritt zur Erfüllung dieses Traumes sein.

Ist das überhaupt etwas für mich, jeden Morgen neu aufzubrechen, die körperlichen Strapazen, unwirtliches Wetter, Gedanken in karger Landschaft wälzen? Ist es wirklich die Schönheit der Monotonie, die mich wie meinen verstorbenen Freund und Grönlandüberquerer nach draußen zieht in diese nordischen Landschaften?

Aufbruch in einen der längsten Wandertage des Universums

Punkt neun Uhr brechen wir auf, wir vier stehen mit geschultertem Rucksack und Trekkingstöcken bereit und erwarten die Richtungsangabe von Martin, der die Route zum Teil schon mal gegangen ist und die Gesamtdramaturgie geplant hat. Laut seiner vorsichtigen Äußerungen wird es gen Ende immer spektakulärer. Was das genau bedeutet, kann ich mir bis zu diesem Tagesende nicht vorstellen. Für mich sind diese Landschaftsformen, die schwarzen Lavafelder, das leuchtendgrüne Moos und die bezaubernden Details der subarktischen Flora schon dramatisch und spektakulär genug, was mag da noch kommen?

Gletscher Island - der Weg
Bild: Simon Zeyher

Steiler Abstieg mit Anfängerfehler – am Gletscher in Island

Bis zum Eisrand der Gletscherzunge steht uns noch ein Wanderabschnitt von ca 1,5 Stunden bevor. Meine Schuhe klettern mit mir über Lavabrocken und Basaltgestein, die Stöcke helfen mir die Balance zu halten, manchmal nehme ich die Hände zur Hilfe und stütze mich ab. Kurz vor der Eiszunge wartet ein relativ steiler Abstieg über große eckige Felsen auf uns. Ich stütze mich auf meine zwei Stöcke, schaue mir in Ruhe an, wie die drei Männer diesen Abstieg meistern.

Ich versuche ihnen zu folgen, in dem ich ganz ähnliche Trittstellen ausprobiere und mich Brocken für Brocken hinunter hangele. Dabei bin ich froh, dass ich meine Trekkingstöcke habe. Ich stütze mich ab. Total falsch, denn plötzlich rutscht ein Stock in eine Felsspalte und ich stürze, weil ich mich zu sehr auf die Gehhilfen verlassen habe und nicht auf die Kraft meiner Beine. Mist, denke ich beim Fallen und schramme mir meinen Unterarm an einer scharfen Felskante auf. Nun ja so schlimm kann es nicht sein. Weitergehen heißt die Devise. Ich erschrecke. BEIDE Trekkingstöcke sind gebrochen. Die Männer schauen sich erschrocken nach dem gestürzten Trekkingküken, das sonst bisher alle Herausforderungen mit schwerem Rucksack gut gemeistert hatte, um.

Ähm alles in Ordnung entgegne ich, nur leider die Stöcker sind dahin. Naja und die Beule am Unterarm. Ich kann diesen aber ohne Weiteres weiter bewegen und benutzen. Georg und Simon spenden mir je einen Stock und wandern selbst mit einem Trekking Pole weiter.

Endlich Sonne - auf dem Weg zum Gletscher

Meine Stimmung geht in den Keller. In was für eine Situation habe ich das Team gebracht? Vor der Gletscherzunge haben jetzt vier Menschen nur noch 6 Trekkingstöcke anstatt 8 dabei. So eine Flachlandtirolerin haben die drei coolen Kerle nicht verdient. Wegen mir hätten sie wohlmöglich die Wanderung gar nicht fortsetzen können. Meine Gedanken ziehen dunkle Kreise und ich fühle mich richtig mies.

Tränen kann ich grade noch unterdrücken, denn das nützt hier in der Situation gar nichts. Am Eisrand angekommen, kramen alle ihre Grödel und Steigeisen hervor und bringen sie an den Wanderschuhen an. Unter uns ist graues altes Eis, auf der Oberfläche eine schlammige Schicht von Vulkanasche. Kein Schimmer von dem leuchtenden Gletscherblau, was ich von spektakulären Fotos kenne.

Gletschereis in Island

Wir stürzen uns auf die eisige spaltige Zunge

Oberhalb des Hangs, an dem meine Stöcke zerbrachen, hatten wir einen guten Überblick über die ersten Kilometer der Gletscherzunge. Wir konnten die ersten Spaltenzonen ausmachen und wählten von oben einen geeigneten Einstiegsort. Hier sind die Spalten schmal und gut überwindbar. Wir müssen ziemlich genau gen Osten und Martin stellt uns in Aussicht, dass wir bald unser Ziel sehen werden. Für die Querung sind zirka 3,5 Stunden von ihm eingeplant. Das macht Mut, die 10 Kilometer Strecke über das Eis scheinen mir machbar.

Bald merke ich doch, dass ich der Gruppe immer mehr auf Schlängelwegen folge. Ich trotte ein bisschen hinterher und kann keinen konstruktiven Diskussionsbeitrag zur Wegefindung beisteuern. Ich merke nur: Das Spaltenspringen wird nach 2 Stunden langsam anstrengend. Die Gesichter der Mitwanderer werden besorgter. Denn wir befinden uns in einem ganz schönen Spaltenlabyrinth. Entweder kommen wir immer wieder an Punkte, wo die Spalten zu breit werden oder es tun sich plötzlich Querspalten auf, die uns regelrecht den Weg gen Osten abschneiden. So heißt es, immer wieder ein Stück zurückgehen und auf geeignetes Terrain weiter nördlich hoffen.

Skeidarajökull Pause auf dem Gletscher in Island
Blackforest auf dem Skeiðarárjökull

Glitzerkram und Gletscherblau – Stimmungshoch und Spaltentief

Die Sonne scheint, so dass wir alle Sonnenbrillen tragen und wie aus einem Katalog entsprungen, hintereinander über das Eis stiefeln. Beim Sprung über die metertiefen Spalten, denke ich nicht weiter darüber nach, was wohl passieren würde, wenn man in so einer Spalte landet. Der Gleichmut und mein Durchhaltevermögen in meinem Geist sind herausgefordert, diese Überquerung Stunde um Stunde zu absolvieren. Das kühle Eis scheint eine Mikroatmosphäre zu erzeugen, kalte frostige Luft, steigt vom Boden auf, die Sonne dagegen scheint uns warm ins Gesicht. Hin und wieder finde ich meinen Schatz, das schillernde Blau in den Tiefen des Gletschereises. Ein Glückgefühl durchströmt mich dann in diesen Momenten der stetigen Anspannung der Gletscherwanderung.

Skeidarajökull - Gletscher in Island

Mittlerweile brauche ich eine Pause. Meine Bitte wird auf später verschoben, wir müssen erst mal aus diesem Labyrinth raus. Dennoch halten wir nach 10 weiteren Minuten an und alle kramen in ihren Verpflegungsbeuteln. Am Tag holen wir uns Energie aus Müsliriegeln. Wenn es dafür eine Verkleinerungsform gäbe, dann wären es die meinen. Die wilden Kerle haben fette Haferflocken Barren dabei. Mitleidig reicht mir Simon seine zweite Hälfte. Die Angst, dass ich kraftlos mitten auf dem Gletscher zusammenbreche, lese ich deutlich in seinen fürsorglichen Augen.

Wir einigen uns, noch eine weitere Stunde den Weg etwas weiter nördlich zu suchen. Auf dem späteren GPS Track ist ein wahrer Zickzacklauf zu erkennen. Immer besser wird das Gelände und wir erreichen ein Gebiet, was uns hoffen läßt, die Überquerung der Zunge zu schaffen. Die Alternative wäre nur umkehren gewesen.

Eine ausgelassene Pause im Blackforest bei guter Wetterlage macht uns wieder fröhlich. Black Forest heißt dieser Teil auf dem Gletscher weil Eiserhebungen bzw kleinere Schneehügel mit Lavaasche überdeckt sind und so wie ein dunkler Tannewald aus kleinen Bäumchen aussieht.

Gletscher in Island - Black Forest
Ablationskegel am Gletscherrand

Durch den „Wald“ finden wir schnell weiter über den Gletscher gen Osten. Dann folgt jedoch eine weitere Unbekannte. Die Gletscherzone am westlichen Rand der Gletscherzunge. Hier warten noch einmal herausfordernde Spalten im Eis auf uns. Mittlerweile haben wir schon einen langen Tag hinter uns und die Kräfte lassen bei mir ganz schön nach. Neun Wanderstunden gehen nicht spurlos an mir vorbei. Bei jeder der kommenden Spalten die zwischen siebzig und hundertfünfzig Zentimeter breit sind, halte ich kurz inne, atme durch, versuche mich auf den Auftrittspunkt zu fokussieren.

Gletscher in Island - Randzone Spalten
Bild: Simon Zeyher

Ich sammle meine Kräfte und benutze meine zwei gespendeten Stöcke, um sicheren Halt zu bekommen. Mit den Steigeisen und den dazugehörigen fetten Stahlzacken fühle ich mich eigentlich sehr sicher. Sie verhaken sich mit dem Eis und bieten ihm guten Widerstand. Dennoch sind die Spalten an dem Gletscherrand zahlreich und gierig wie offene Münder.

Gletscher Fluss in Island

Manchmal pfeift Wind um unsere Köpfe und es ist ein Rauschen zu hören. Einmal ist es so laut, als würde ein Flugzeug starten, meint Georg. Es sind jedoch gewaltige Gletscherflüsse, die unter dem Eis lang preschen, wie von riesigen Rädern angetrieben.

Gletscher Magenknurren – Skeiðarárjökull ist hungrig

Plötzlich stehe ich vor einer Spalte, die mir beängstigend breiter erscheint als ihre Vorgänger. Die Männer sind drüben und schauen mich erwartungsvoll an. Meiner Kraftlosigkeit und gesunkenen Konzentrationsfähigkeit ist es zur Folge, dass ich wie ein nervöses Tier an dem Rand der Spalte zögerlich auf und ab-laufe. In der Spalte sehe ich fünfzig Zentimeter weiter unten einen kleinen Absatz auf der gegenüberliegenden Seite. Ich könnte auch auf den springen und mich dann hoch knieen, ob das dann sicherer wäre? Meine Phantasie reicht nicht sehr weit. Auf der anderen Seite stehen Martin und Simon und machen sich bereit, mich im Zweifelsfall aufzufangen und rüber zuziehen. Es ist mucksmäuschenstill, bis aus dem Eis ein tiefes schauerliches Grummeln ertönt. Für ein paar Sekunden sind alle erstarrt. Will die Spalte mich jetzt auffressen? Ist sie so hungrig?

Wer weiß, was noch passiert, jetzt atme ich tief durch. Ich springe und die Zacken meiner Steigeisen rammen sich sicher in das Eis der anderen Spaltenseite. Ich bin froh und wir setzen den Weg durch das Spaltenlabyrinth fort. Es ist ein gefühlt endloses Hin und Her, springen und hoffen, dass der Gletscherrand bald erreicht ist, der Fels scheint in erreichbarer Nähe, aber es ist schwer zu schätzen wie weit es ist und wie viel Zeit wir benötigen werden, um diese Zone zu überwinden.

Zieleinlauf Gletscher in Island
Bild: Simon Zeyher


Georg schreibt: Nach der ersten Gletscher-Überquerung mit Kompass im Nebel war die Situation jetzt eine völlig andere: Klarste Sicht, das Ziel, die Gebirge des Skaftafells, schon sichtbar von Anfang an, die zu bewältigende Breite mit 10km etwa 5km weniger, könnte es sein, dass dies eine leichte Übung werden würde? Der Einstieg _war_ einfach, und wie bei einer freien Zunge war auch diese leicht gewölbt nach innen. 2 Stunden später: Wir haben an Höhe gewonnen und überblicken die Lage: das östliche „Ufer“ an der anderen Seite fast zum Greifen nah, doch unerreichbar auf dem direkten Weg, da voller Gletscherspalten, die sich zur Mitte hin immer wieder verbreitern oder kreuzen, nach Norden und Westen eine fast ganz schwarze Hügellandschaft, der black forest. Weitere zeit- und kraftraubende Versuche folgen einen Weg zu finden, indem man den jeweiligen Irrweg wieder zurückgeht und dafür eine Schlaufe Richtung Nordwest sucht, doch immer wieder vergeblich! Da die Gefahr besteht durch Konzentrationsermüdung oder finale „Verzweiflungssprünge“ einen Fehler zu begehen, muss ich etwas an mich halten, um die Ruhe zu bewahren, was auf jeden Fall das Allerwichtigste ist. Ein letzter Versuch! Wir gehen relativ weit zurück, Martin geht voraus, die Spalten bleiben zunächst schmal. Sie werden aber dann doch breiter. Nicht schon wieder! Als Martin merkt, dass wir ihm nicht mehr richtig folgen bzw. zurückbleiben, bleibt er auch stehen. Er scheint unsere Gedanken zu erraten und mit einem Lächeln, das beinahe etwas Prophetisches an sich hat, bittet er uns freundlich ihm zu folgen und zu vertrauen. Und wir folgen! Und tatsächlich, nach relativ kurzer Zeit sehen wir große schwarze Kegel, der Black forest, das Rückgrat der Zunge (wie es mir vorkam). Auch das Eis hat sich verändert, es ist fester und scheint zu schwitzen, überall kleinere und größere Rinnsale, die Spalten sind verschwunden. Wir haben den kritischen Bereich überstanden! Es kommt zwar noch etwas, was mich im Nachhinein erschauern lässt, ein ohrenbetäubendes Grollen, das von einem gewaltigen Mahlstrom in der Tiefe des Gletschers direkt unter uns herrühren muß, was bedeutet das? Später dann auch noch einige Gletscherspalten, die uns aber eigentlich fast nur ein müdes Lächeln abgewinnen, gäbe es jetzt noch, etwas, was uns nich aufhalten würde? Am Schluss noch ein letzter Riesenriss, und wir stehen am Rand, haben es geschafft! Freistehende blaue und weiße Würfel, tw. fast von Hausgröße deuten aber auf den unerbittlichen Rückzug des ewigen Eises hin, dessen immense Kräfte eben keineswegs zu unterschätzen sind. Mit den eigenen Kräften und den Nerven fast am Ende bezwingen wir auch noch die letzte Etappe des Tages und erreichen schließlich dankbar und glücklich „das gelobte Land“, einen Thron oder Göttersitz, den auch die alten isländischen Götter wohl nicht verschmäht hätten!

Festen aber steilen Boden unter den Füßen

Die Sonne steht schon tief und taucht die raue Landschaft in goldenes Licht. Endlich betreten wir den rauen Fels, Gletscherwasser fliesst in eine Zone mit Geröll und Asche, unsere Schuhe versinken in dem ungemütlichen Mix. Erleichtert legen wir unsere Grödel und Steigeisen ab und können wieder auf festem Grund laufen.

geschafft, wieder festen Boden unter den Füßen

Jedoch ist das Eis in den letzten Jahren so weit zurück gegangen, dass uns noch ein steiler Aufstieg zu unserer spektakulären Zeltstelle bevorsteht. Und das nach einem 10 stündigen Wandertag, den wir hinter uns haben mit allen emotionalen Hochs und Tiefs. Die Sonne steht noch voll auf dem Plateau und die Motivation ist groß, es noch vor Sonnenuntergang zu erreichen. Der Hang, bestehend aus scharfkantigem Geröll und kleinem Gestein hat eventuell 100 bis 200 Höhenmeter, die es fast in 45 Grad, aber gefühlten 90° zu überwinden gilt. Nach den vorangegangenen Tagen sind unsere Rucksäcke jetzt schon viel leichter als am ersten Tag. Jedoch trage ich bestimmt immer noch eine Last von fast 20 Kilogramm auf dem Rücken. Ich setze einen Schritt vor den anderen und rutsche jeweils einen halben Schritt zurück. Ich atme schwer, keuche und beschließe nach einigen Metern eine Pause einzulegen und den Blick hinter mich zu genießen.

Gletscher in Island - Skeidarajökull Zunge

Ich erblicke die Gletscherzunge Skeiðarárjökull mit all ihren Spalten, die wir die vielen Stunden davor übersprungen und umrundet haben. Die Männer sind schon kleine Punkte weiter oben am Hang und haben wohl das Plateau gleich erreicht.  Ich krame in meinem Verpflegungsbeutel und finde eine Stange Traubenzucker mit Beerengeschmack. Ich pfeife mir einen Drops nach dem anderen rein, bis die Stange leer ist. Vielleicht hilft es ja.

Mutig schultere ich wieder mein Gepäck und setze wie vorher einen Schritt vor den anderen. In meiner Fantasie finde ich, dass genau dieser Pausenplatz doch auch total gut geeignet wäre, meinen Schlafsack für die Nacht auszurollen, sollte ich den Aufstieg bis zum Plateau nicht schaffen. Jedoch werden einige Schritte in einem Bachbett plötzlich einfacher und wie in einer Halluzination erscheint Martin, wie er ohne Gepäck mit seinen Wanderstöcken den Hang runter gewandert kommt, um mir zur Hilfe zu kommen. Es ist keine Halluzination. Das erste und einzige Mal auf der 12 tägigen Tour gebe ich meinen Rucksack in seine kräftigen Arme, um meinen müden Körper ohne Gepäck die letzten Höhenmeter den Hang hoch zu hieven.

Alles ist so viel einfacher ohne Gepäck. Oben angekommen, eröffnet sich ein ebenes Plateau wie für unsere drei Zelte gemacht. Ich erfahre, dass jeder von uns an die Grenzen gekommen ist, nur dass die Männer zufällig schon oben waren.

Zauberplateu im Sonnenuntergang, kalter Bach und Klippen Kaffee mit dem Gletscher in Island im Blick

Die Sonne steht tief, verzaubert uns und unsere Gemüter. Selig schauen wir über dieses spektakuläre Naturwunder, was wir soeben bezwungen haben, die Herausforderung, die wir gemeinsam bestanden haben. Simon kocht an der Kante mit Aussicht für alle einen frischen Kaffee. Noch nie hat mir der dampfende schwarze Kaffee in der Natur so gut geschmeckt. Der Zeltaufbau ist nun ein Einfaches.

Das nahe gelegene Bächlein, was wie im Märchen den Hang hinunter plätschert, lädt uns ein, den Schweiß des Tages abzuwaschen. Ich bin wie auf Droge und schütte, mehrere Schöpfkellen kaltes klares Wasser über meine nackte Haut. Gänsehaut, Kälte, Nässe? Alles ein Kinkerlitzchen gegen die Strapazen, die gerade hinter uns liegen. Das kalte Nass, was meinen Körper umspült, ist ganz klar ein Geschenk. Alle Strapazen sind abgewaschen. Ich fühle mich klar und kräftig, gesund und am richtigsten Platz in dieser Welt. Einige Wassersäcke mit frischen Wasser tragen wir zu den Zelten, um unser Abendbrot zu kochen und für den morgendlichen Tee genügen Wasser da zu haben.

Kaffeekochen an der Klippe mit Geltscher

In den vergangenen Tagen haben wir oft in den Zelten gekocht und uns dazu in die Schlafsäcke gelegt. An diesem Abend kosten wir jede Minute mit dem gigantischen Blick aus und installieren die Campingkocher an der Kante mit der Aussicht auf die Spalten des alten Eises, was wir mühevoll überquerten. Immer tiefer sinkt die Sonne, die Farben werden wärmer und bald ist alles in ein tiefes dunkles Orange getaucht. Nie war ein Campingessen aus gefriergetrockneter Nahrung so schmackhaft wie heute Abend. Wir belohnen uns mit den leckersten Instantdesserts und mit dem leckersten Yogitee. Sogar ein paar Stückchen der wertvollen Schokolade dürfen wir verspeisen. Wann, wenn nicht jetzt.

Bild: Simon Zeyher

Ich kann mich nicht satt sehen, der Blick macht mich atemlos, sprachlos, alles scheint unwirklich und ich kann mir nur schwerlich den Beginn des Tages ins Gedächtnis rufen, mein emotionales Tief nach dem Sturz und die folgenden Irrungen durch das Spaltenlabyrinth. Wie ein Film, der ein Erlebnis einer anderen Gruppe dokumentiert, ziehen diese Ereignisse an meinem inneren Auge vorbei.

Ich fühle Dankbarkeit und Ehrfurcht vor den Kräften der Natur und dieser gewaltigen Schöpfung, dieser Landschaft, die sich seit vielen tausenden Jahren ohne unser Zutun formt.

 Mit diesem Gefühl krieche ich etwas bibbernd vor Kälte in meinem Schlafsack.

Lady Aurora tanzt zur Belohnung ihren schönsten Tanz über dem Gletscher in Island

Simon hat seine Isomatte nach draußen verlegt und schaut in den Sternenhimmel, wo alle Sternbilder des nördlichen Himmels deutlich zu erkennen sind und sogar die Milchstraße zum Greifen nah ist. Gegen zehn Uhr krieche ich auch nochmal aus dem Zelt, um in den Himmel zu schauen. Meine Instinkte sind noch ganz wach und meine Nordlichtnase riecht einen grünlichen Schimmer am nordwestlichen Horizont.

Jetzt bin ich wieder hellwach, wie immer, wenn die Chance auf die Lady Aurora am Himmel zu erahnen ist. Sie breitet tatsächlich für uns ihr grün schillerndes Kleid aus. In Nullkommanix sind Kamera und Stativ mit Gletscheraussicht installiert und fangen mit gekonnten Einstellungen, die grünen Schleier über der Gletscherzunge ein. Was für eine Belohnung für diesen harten Tag. Ein Gletscher in Island bietet die perfekte Kulisse.


Die Natur meint es gut mit uns, verzaubert und versöhnt uns. In unseren Herzen bleiben fantastische Bilder. Schmerzen und Zweifel, die am Tag auftauchten, verschwinden mit den tanzenden Formen.

Seelig gleite ich in einen tiefen erholsamen Schlaf.

Pfannkuchen mit Aussicht – Gletscher in Island

Als der morgendliche Weckruf meiner Armbanduhr erschallt, freue ich mich und öffne die „Tür“ des Vorzeltes, damit Simon und ich freie Sicht auf den spektakulären Gletscher haben.
Auf dem Plateau liegend und den Bereich, der von der Sonne erwärmt wird sehnlichst erwartend, schauen wir wie in den vergangenen Tag, der Gletscher liegt da, als wäre nichts gewesen, jedoch war alles!

Ich liege in meinem Schlafsack gemummelt an der frischen Luft, die Mütze ins Gesicht gezogen, beobachte, wie Martin auf dem Campingkocher seine Frühstückpfannkuchen zubereitet. Es duftet nach zerlassenem Kokosfett und Apfelstückchen. Ein achtsam zusammengestelltes Menü für Morgende wie diesen.
Meine Frühstücksrationen strotzen mit Beerenmüsli und Nussmüsli nicht gerade vor Abwechslung.

und das ist keine Fototapete hinter mir

Aus einer kleinen Tüte fischt er sogar noch ein paar Krümel Instantkaffee. Was für ein Fest, verschmolzen mit der großartigen Landschaft, den sinnlichen Eindrücken hier an diesem Ort sein zu dürfen, weit ab von der Zivilisation und den Querelen des Alltags, von Verpflichtungen, Definitionen und Rollen, die alle von uns zu Hause erfüllen und haben.

Dagegen sind hier vier Seelen miteinander unterwegs, die verbunden sind und dankbar, wertschätzend und froh gelaunt, einfach und ehrlich, ruhig und vergnügt – die einfach sind.

Und dass ist, was so ein Ort kann – er bringt uns zurück zum Sein

Voller Dankbarkeit verneige ich mich innerlich vor mir selbst und dem Gletscher in Island und schätze die wilden Kerle an meiner Seite, die mir den Weg in die Trekkingwelt geebnet haben.
Es ist während der Tour und besonders an diesem vergangenen Tagen mit seinen Aufs und Abs das klare Bild davon entstanden, dass dies mein Weg ist: den Norden zu bereisen mit einfachen Mitteln, kleinen Schritten, mit tiefen Einblicken in mich und die Natur, das ist es, was ich im Leben möchte und wonach ich mich sehne. Das Fünkchen Glück kann somit zu einem Feuerchen auflodern, was mich auch durch schwierige Zeiten bringt, weil ich weiß dass ich so etwas schaffen kann, dass Natur und Verbindung so etwas vermag.


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Gletscher in Island sind respekteinflößend, gigantisch und ein Zauber, den ich nicht vergesse.

Geertje

Geertje schreibt und fotografiert auf Reisen gerne, um diese intensiven Momente des Lebens festzuhalten. Sie möchte diese wunderbare Welt auch ihren Kindern zeigen und reist deshalb am liebsten als Familie in den Norden. Schön ist es, wenn Bilder und Texte auch andere Familien zum Reisen inspirieren.

2 Kommentare:

  1. Ein wundervoller Artikel! Vielen Dank für diese Eindrücke!!!

  2. Liebe Katrin, hab herzlichen Dank, dass du den Artikel so aufmerksam gelesen hast. Viele Grüße Geertje

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